Leseprobe: Unter der Fuchtel
Beitragsseiten
...
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass historische Berichte der Kategorie »Junge, hübsche Gouvernante und devoter Zögling« bei SM-Fans sehr beliebt sind. Ich möchte eine solche Story einmal kommentieren bzw. kritisch hinterfragen. Das will ich nicht nur als Flagellantin tun, sondern auch als erfahrene Krankenschwester – gewissermaßen aus fachlicher Sicht. Es handelt sich um die Erlebnisse des Schülers Daniel Williams unter seiner 22-jährigen Lehrerin und Gouvernante Harriet Marwood im England des 19. Jahrhunderts. Ein Freund von mir besitzt ein Faksimile von Daniels Tagebuchaufzeichnungen, er hat den Text übersetzt und mir erlaubt, ihn in eine zeitgemäße Sprache zu transponieren und zu veröffentlichen. Meine hinzugefügten Kommentare sind kursiv gesetzt. Doch nun zu Daniels Aufzeichnungen:
Nach dem unerwarteten Tod meiner Mutter, und nachdem kurze Zeit später unser Hauslehrer seine Stellung aufgegeben hatte, sah mein Vater sich gezwungen, meine Erziehung – und auch die meiner Schwester – einer Gouvernante anzuvertrauen.
Als unsere erste Gouvernante – Miss Graham – nach 4-jähriger Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen kündigen musste, bewarb sich die erst 22-jährige Miss Marwood um die Stelle.
An einem strahlenden Frühlingsmorgen des Jahres 1886 erschien sie in unserem Anwesen auf der Great Portland Street, um sich persönlich vorzustellen. Wir hatten uns alle in der Eingangshalle versammelt, um Miss Marwood zu begrüßen. Wir alle, das waren: meine Schwester Ellen, 18 Jahre alt, ich selbst, Daniel Williams, 16 Jahre, ferner Mr. Langton, unser Gärtner, der auch die Pferde versorgte und die Kutschen wartete. Zudem unsere verwitwete Wirtschafterin und Mamsell Mrs. Plimsoll, 45 Jahre alt, die 14-jährige Babsi, unser Küchen- und Stubenmädchen, und natürlich mein Vater, von Beruf Kaufmann, 46 Jahre alt, der am nächsten Tag aus geschäftlichen Gründen nach Italien reisen musste und deshalb besonders froh war, dass die neue Gouvernante noch vor seinem Reiseantritt erschienen war.
Alle waren wir sofort von Miss Marwood begeistert. ›Mein Gott, was für eine schöne Frau!‹, dachte ich, als ich sie zum ersten Mal sah.
Sie hatte ein heiteres, temperamentvolles und unbeschwertes Wesen, eine glockenreine und wohlklingende Stimme, sie wirkte ungemein gesund und vital, hatte ein strahlendes Lächeln, anmutige Bewegungen und geschliffene Umgangsformen, dazu eine erotische Ausstrahlung, wie ich sie in dieser Art noch bei keiner Frau wahrgenommen hatte – kurz und gut: Ich musste mich sofort in sie verlieben! Auch mein Vater war sehr angetan von ihr, ich bemerkte, wie sein Blick wohlgefällig an ihrem Körper auf und ab glitt.
Er sagte zu ihr: »Sie können sich nicht vorstellen, wie froh ich bin, jemanden wie Sie für diese so wichtige Aufgabe gefunden zu haben, Miss Marwood. Was kann es schließlich Wertvolleres geben, als jungen Menschen eine gute Erziehung angedeihen zu lassen. Ich kenne ja schon Ihre hervorragenden Zeugnisse und weiß, dass Sie trotz Ihres zarten Alters – ich hoffe, ich darf das so sagen – schon über erstaunliche Erfahrung verfügen.«
Miss Marwood antwortete: »Ich liebe meine Arbeit, Mr. Williams, und ich bin Gouvernante mit Leib und Seele! Es wird meine vornehmste Pflicht sein, Ihre Kinder zu unterrichten und zu erziehen. Ellen ist ja schon achtzehn Jahre alt, also fast erwachsen, ich hoffe, dass ich ihr noch etwas für ihr Leben mitgeben kann.«
»Ich danke Ihnen, Madam, und ich bin sicher, dass Sie das können.«
»Vielen Dank, Sir!«, erwiderte Miss Marwood.
»Ich hoffe allerdings«, fuhr mein Vater fort, »dass Sie trotz Ihrer Jugend die erforderliche Strenge aufbringen, um Ihre Zöglinge an die Kandare zu nehmen. Sie dürfen alle Zuchtmittel anwenden, die Ihnen geeignet erscheinen, haben Sie in dieser Hinsicht bitte keinerlei Hemmungen.«
Miss Marwood lächelte seltsam und sagte in eigenartig ruhigem Tonfall: »Keine Sorge, Sir, solche Hemmungen kenne ich nicht.«
Dieses Lächeln und auch diesen Tonfall sollten wir noch fürchten lernen, beides stand in merkwürdigem Gegensatz zur sonstigen freundlichen und heiteren Art von Miss Marwood.
»Und nun kommen Sie in den Salon, Madam, und machen es sich bequem«, sagte mein Vater dann. »Sie werden erschöpft von der Reise sein. Mr. Langton, Sie kümmern sich bitte um das Gepäck von Miss Marwood, Mrs. Plimsoll, Sie bereiten einen Imbiss und Erfrischungen zu, Babsi, du deckst inzwischen den Tisch und begleitest Miss Marwood später auf ihr Zimmer!«
»Jawohl, Mr. Williams«, antwortete Babsi.
Dann erklärte mein Vater Miss Marwood: »Alles für Sie Wichtige lesen Sie bitte in Ihrem Arbeitsvertrag nach, Sie werden feststellen, dass ich, was die Festsetzung Ihres Gehaltes betrifft, nicht kleinlich gewesen bin.«
»Ich danke Ihnen dafür, Mr. Williams! Wie ich Ihnen in meinem Bewerbungsschreiben ja schon mitteilte, hängt meine Arbeitsfreude aber nicht in erster Linie von der Bezahlung ab. Dennoch möchte ich Ihnen gerne sagen, Sir, dass ich Ihre Großzügigkeit sehr wohl zu schätzen weiß. Ich fühle mich bestärkt in der Zuversicht, mit der ich meinen künftigen Pflichten entgegensehe.«
»Das freut mich außerordentlich, Madam, welch lobenswerte Einstellung! Es tut wahrhaft gut, so etwas zu hören – vorgetragen mit solchem Charme und jugendlichem Temperament.«
Miss Marwood errötete hold und erwiderte: »Herzlichen Dank, Sir, Sie machen mich ganz verlegen.«
Mein Vater sagte dann: »Ich bitte Sie, mir den unterschriebenen Vertrag noch heute auszuhändigen, eine Abschrift bleibt in Ihren Händen.«
»Ja, Mr. Williams«, antwortete Miss Marwood.